Utas blaue Infotheke

Kunst, Musik, Literatur & Kommunikation

»Was wir Dada nennen
ist ein Narrenspiel aus dem
Nichts, in das alle höheren
Fragen verwickelt sind...«
Hugo Ball


1 0 0   J a h r e   D A D A      ( 1 9 1 6   b i s   2 0 1 6 ) 


Dada


... the beginning ... 

Als zwischen 1914 und 1918 der Erste Weltkrieg in vielen Teilen der Welt tobt (an dessen Ende 17 Millionen Tote zu beklagen waren), treffen sich in der neutralen Schweiz Künstler, Musiker und Schriftsteller verschiedener Nationen, um gegen das Blutvergießen und die Werte des spießbürgerlichen Kulturbetriebs mit Nonsens, Witz, Ironie und Zynismus zu protestieren. In der Züricher Altstadt eröffnen sie Anfang Februar 1916 die Künstlerkneipe Cabaret Voltaire. Das avantgardistische Gründungs-Septett der Dadaisten besteht aus dem deutschen Autor Hugo Ball und dessen Partnerin Emmy Hennings, Kabarettistin und Muse der anfänglichen Dadabewegung, dem rumänischen Schriftsteller Tristan Tzara, dem rumänischen Künstler Marcel Janco, dem deutschen Dramatiker Richard Huelsenbeck, dem französischer Maler Hans Arp sowie dessen späterer Frau und schweizerischer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp. Im Laufe des Jahres 1916 schließen sich der Gruppe weitere Kunstschaffende an, unter ihnen der deutsche Multi-Künstler Hans Richter

Hans Arp erinnert sich an die Anfangszeit: »In einem kunterbunten, überfüllten Lokal sind einige wunderliche Fantasten auf der Bühne zu sehen, welche Tzara, Janco, Ball, Huelsenbeck, Emmy Hennings und meine Wenigkeit darstellen. Wir vollführen einen Höllenlärm. Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, mit Rülpsern, mit Gedichten, mit ›Muh, Muh‹ und ›Miau, Miau‹ mittelalterlicher Bruitisten. Tzara lässt sein Hinterteil hüpfen wie den Bauch einer orientalischen Tänzerin, Janco spielt auf einer unsichtbaren Geige und verneigt sich bis zur Erde. Frau Hennings mit einem Madonnengesicht versucht Spagat, Huelsenbeck schlägt unaufhörlich die Kesselpauke, während Ball, kreideweiß wie ein gediegenes Gespenst, ihn am Klavier begleitet«.


Was wollten die Dadaisten?
Die wichtigste Bedeutung in dem Diagramm erhält der Pfeil, der nach unten durch das Magische hindurchführt, in eine Zeit, in der die Welt noch mit Worten und Einbildungskraft definiert und verstanden wird. Dorthin wollen die Dadaisten, sie wollen in die Welt der Magie abtauchen, um aus der Einbildungskraft zu schöpfen und ein neues Verständnis der Welt, jenseits von Kunst und Wissenschaft zu erlagen.
Das Textzitat "Was wollten die Dadaisten?" und die Grafik-Idee stammen aus dem DADA HAND BUCH von Adrian Notz und Yael Wicki - 2015 Cabaret Voltaire, ISBN 978-3-9524111-3-1 - www.cabaretvoltaire.ch


»Bevor Dada da war, war Dada da!«

Wer brachte Dada schon früh in die Welt? Vielleicht der Schalk Till Eulenspiegel im Mittelalter? Oder der Dichter Christian Morgenstern während der 'Epoche der Jahrhundertwende'? Wahrscheinlich aber der italienische Futurismus (Filippo Tommaso Marinetti), der Expressionismus (die Künstlergruppe »Die Brücke«, Wassily Kandinsky, Paul Klee) und nicht zuletzt der Kubismus (Pablo Picasso, Georges Braque). Aber auch Schriften von Arthur Rimbaud oder Marquis de Sade inspirierten spätere Surrealisten. 

Der Dadaismus breitet sich von ZÜRICH in die halbe Welt aus – Brennpunkte und einige ihrer Protagonisten waren:
NEW YORK: Marcel Duchamp (Ready Made), Man Ray, die überragende Elsa von Freytag-Loringhoven, Suzanne Duchamp;
BERLIN: Raoul Hausmann, Richard Huelsenbeck, George Grosz, John Heartfield, Hannah Höch, Walter Mehring, Johannes Baader, Wieland Herzfelde, Valeska Gert;
KÖLN: Max Ernst, Hans Arp, Angelika Hoerle, Johannes Th. Baargeld;
HANNOVER: Kurt Schwitters, Käte Steinitz;
DRESDEN: Erwin Schulhoff, Otto Dix;
PARIS: Tristan Tzara, Francis Picabia, Céline Arnauld und ganz besonders André Breton;
HOLLAND: Theo van Doesburg, Nelly van Doesburg;
BELGIEN: Clement Pansaers;
andere Drehpunkte waren JUGOSLAWIEN, die TSCHECHOSLOWAKEI, WIEN, RUMÄNIEN, SPANIEN und ITALIEN.

Nach seiner Ausbreitungsphase war der Surrealismus 1923 eine unmittelbare Reaktion auf Dada. Persönlichkeiten surrealistischer Kunst waren z.B. Louis Aragon, Philippe Soupault, Pablo Picasso, Salvador Dali, Max Ernst, Toyan, Frida Kahlo, Joan Miró, André Masson, René Magritte, Yves Tanguy, Dorothea Tanning, Leonora Carrington, Luis Buñuel u.v.a.

Im Strom von Dada entsteht 1940 die sagenhafte Fantasiekauderwelsch-Rede des Schauspielers Charlie Chaplin als Anton Hynkel in dem Film »Der große Diktator« und Mitte der 1940er Jahre in Schweden die literarische Figur Pippi Langstrumpf (Astrid Lindgren), in New York der Bebop (Thelonious Monk, Charlie Parker, Dizzy Gillespie) und im geistigen Klima des Existentialismus (Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir) im Pariser Stadtteil Saint Germain de Près der Lettrismus (Isidore Isou); ebenso inspirierte Dada dort in den 1950er Jahren den Situationismus (Asger Jorn, Michèle Bernstein) und zeitgleich dazu die Beat Generation (William Burroughs, Jack Kerouac, Allen Ginsberg) in den USA, infolgedessen sich zw. 1965-71 aus Kalifornien die Protestbewegung und Gegenkultur der Hippies (John Lennon, Janis Joplin) weltweit verbreitete.

Der Dadaismus entwickelt sich stetig weiter:

von der avantgardistischen Kunstform Performence Art (Allan Kaprow) mit den Fluxus-, bzw. Happening-Bewegungen (George Maciunas, Yoko Ono, Joseph Beuys, John Cage) in den 1960er Jahren, 

über die Wiener Aktionisten, und der Berliner »Kommune I«, 

in der Theater- und Film-Szene (Jean-Luc Godard, Michelangelo Antonioni, Monty Python's Flying Circus, Jim Hensons »Muppet Show«, Christoph Schlingensief, Sofia Coppolas »Lost in Translation«, der deutsche Humorist Loriot), 

bis hin zu (Sub-) Kulturbereiche wie Rockmusik (mit deutschen Texten: Ton Steine Scherben), Punk (Sex Pistols, Carambolage, Pussy Riot), Weltmusik (Embryo), Neue Deutsche Welle (Trio), Post Industrial (Einstürzende Neubauten), Wortspiele (Helge Schneider), Graffiti (Banksy), Breakdance und dem Flashmob ("Smart Mob") späterer Tage.


And last but not least:
Was alle Dadaisten verbindet ist: sie sind antiautoritär.
Und was den Dadaismus besonders auszeichnet ist die Ablehnung von Gewalt.

 

 


Everything goes on, including Dadaism ... also in Berlin ...

Dada, Totentanz

Der Auftritt von Emmy Hennings 1916 in Zürich war einer von vielen verrücken Höhepunkten im Cabaret Voltaire. Emmy singt das Gedicht »Totentanz« von Hugo Ball nach der Melodie des Saufliedes »So leben wir« (Verfasser des Originaltextes unbekannt, Musik nach dem »Dessauer Marsch«). Weil die Tonaufzeichnung damals noch in den Kinderschuhen steckte, gibt es von dieser Darbietung leider keine Aufnahme. Deshalb haben sich im Frühjahr 2016 in Berlin dreizehn Leute zusammengetan und das Antikriegslied neu produziert, mit Bläsern, Bass, Schlagzeug und Chorgesang; zu hören als Bonus-Track auf der CD »Radio für Millionen« von »Kai & Funky von Ton Steine Scherben mit Gymmick« und als VideoClip bei YouTube.



Dada

DADA – Дада – Dialogischer Urknall

Im April 2022 fand im Berliner Kunstraum Krüger im Rahmen der Ausstellung – Wolfgang Sophie – Hommage à Sophie Taeuber-Arp – eine Dada-Aktion statt. 

AKTEURE: 
Der Schauspieler Rauchhaar – Michael Gerlinger
Die schwarze Trauer – Sema Binia
Der Wind mit dem roten Haar – Christel Blömeke
Der Batterieschreiber Oskar N. – Wolfgang Nestler
Der alles zum Kreis dreht – Steffen Krüger
Der Blick durch die Augenscheibe – Solveig Thelen
Der dumpfe Ton – Kai Sichtermann
Der lebendige Springton – Conny Ottinger
Die Beweglichkeit der Natur – Lujain Mustafa. 

Konzeption und bildnerische Verortung – Wolfgang Nestler. 

Texte von Johannes Kühn, Hugo Ball, Ernst Jandel, Hans Arp, Hannes Eyber, Rio Reiser.

Musik von Leroy Vinnegar: »Kaftan«; Ralph Steitz: »Traum ohne Stern«; Kai Sichtermann: »Totentanz« (trad./arr.).

Kostümbild: Hasti Danesh; Fotografie: Sophia Vinnichenko; Videoschnitt: Monika Pirch.

Der knapp 30-minütige Videofilm kann auf Anfrage ausgeliehen werden.


 

Ursonate
[Wir spielen, bis uns der Tod abholt]
Eine dadaistische Sprechoper
VON Kurt Schwitters
REGIE Claudia Bauer
KOMPOSITION Peer Baierlein
PREMIERE AM 16.12.2023
Schumannstraße 13a
10117 Berlin


 

Archiv der Träume.
Ein surrealistischer Impuls
Das Archiv der Avantgarden — Egidio Marzona (ADA) zeigt seine Sammlungen
mit rund 300 Kunstwerken der Surrealisten und deren Ausstrahlung in
andere Avantgarde-Bewegungen wie Dada, Cobra, Fluxus und Pop-Art. 
Ab 5. Mai 2024 im Blockhaus am Neustädter Markt in 01097 Dresden (bis 1.9.24).
Als Blockhaus wird in Dresden die Neustädter Wache an der Westseite
des Neustädter Brückenkopfes der Augustusbrücke bezeichnet.

 



Links / Downloads:

Cabaret Voltaire, Zürich

Kunstraum Krüger, Berlin

DADA DeZentrale, Dada-Künstlercafé, Berlin

Musik im Strom von Dada - CD Titelliste

Medikamentenrezept Märzbau 

Dada in Weimar
(aus dem Ausstellungskatalog »Wenn die Nacht am tiefsten - Ton Steine Scherben in ihrer Zeit«, initiiert von der Browse Gallery)

www.kunst-zeiten.de/Dada-Allgemein

Heute noch dada? | Kultur erklärt - Flick Flack | ARTE

www.kunsthaus-artes.de

10 Fakten über Dada


dada (c) AnayanA




»Freiheit: Dada, Dada, Dada,
aufheulen der verkrampften
Schmerzen, Verschlingung
der Gegensätze und aller
Widersprüche, der Grotesken
und der Inkonsequenzen:
Das Leben.«
Tristan Tzara