Utas blaue Infotheke

Kunst, Musik, Literatur & Kommunikation

»Was wir Dada nennen
ist ein Narrenspiel aus dem
Nichts, in das alle höheren
Fragen verwickelt sind...«
Hugo Ball


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Dada


... the beginning ... 

Als zwischen 1914 und 1918 der Erste Weltkrieg in vielen Teilen der Welt tobt (an dessen Ende 17 Millionen Tote zu beklagen waren), treffen sich in der neutralen Schweiz Künstler, Musiker und Schriftsteller verschiedener Nationen, um gegen das Blutvergießen und die Werte des spießbürgerlichen Kulturbetriebs mit Nonsens, Witz, Ironie und Zynismus zu protestieren. In der Züricher Altstadt eröffnen sie Anfang Februar 1916 die Künstlerkneipe Cabaret Voltaire. Das avantgardistische Gründungs-Septett der Dadaisten besteht aus dem deutschen Autor Hugo Ball und dessen Partnerin Emmy Hennings, Kabarettistin und Muse der anfänglichen Dadabewegung, dem rumänischen Schriftsteller Tristan Tzara, dem rumänischen Künstler Marcel Janco, dem deutschen Dramatiker Richard Huelsenbeck, dem französischer Maler Hans Arp sowie dessen späterer Frau und schweizerischer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp. Im Laufe des Jahres 1916 schließen sich der Gruppe weitere Kunstschaffende an, unter ihnen der deutsche Multi-Künstler Hans Richter

Hans Arp erinnert sich an die Anfangszeit: »In einem kunterbunten, überfüllten Lokal sind einige wunderliche Fantasten auf der Bühne zu sehen, welche Tzara, Janco, Ball, Huelsenbeck, Emmy Hennings und meine Wenigkeit darstellen. Wir vollführen einen Höllenlärm. Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, mit Rülpsern, mit Gedichten, mit ›Muh, Muh‹ und ›Miau, Miau‹ mittelalterlicher Bruitisten. Tzara lässt sein Hinterteil hüpfen wie den Bauch einer orientalischen Tänzerin, Janco spielt auf einer unsichtbaren Geige und verneigt sich bis zur Erde. Frau Hennings mit einem Madonnengesicht versucht Spagat, Huelsenbeck schlägt unaufhörlich die Kesselpauke, während Ball, kreideweiß wie ein gediegenes Gespenst, ihn am Klavier begleitet«.


Was wollten die Dadaisten?
Die wichtigste Bedeutung in dem Diagramm erhält der Pfeil, der nach unten durch das Magische hindurchführt, in eine Zeit, in der die Welt noch mit Worten und Einbildungskraft definiert und verstanden wird. Dorthin wollen die Dadaisten, sie wollen in die Welt der Magie abtauchen, um aus der Einbildungskraft zu schöpfen und ein neues Verständnis der Welt, jenseits von Kunst und Wissenschaft zu erlagen.
Das Textzitat "Was wollten die Dadaisten?" und die Grafik-Idee stammen aus dem DADA HAND BUCH von Adrian Notz und Yael Wicki - 2015 Cabaret Voltaire, ISBN 978-3-9524111-3-1 - www.cabaretvoltaire.ch


»Bevor Dada da war, war Dada da!«

Wer brachte Dada schon früh in die Welt? Vielleicht der Schalk Till Eulenspiegel im Mittelalter? Oder der Dichter Christian Morgenstern während der 'Epoche der Jahrhundertwende'? Wahrscheinlich aber der italienische Futurismus (Filippo Tommaso Marinetti), der Expressionismus (die Künstlergruppe »Die Brücke«, Wassily Kandinsky, Paul Klee) und nicht zuletzt der Kubismus (Pablo Picasso, Georges Braque).

Der Dadaismus breitet sich von ZÜRICH in die halbe Welt aus – Brennpunkte und einige ihrer Protagonisten waren:
NEW YORK: Marcel Duchamp, Man Ray, Elsa von Freytag-Loringhoven, Suzanne Duchamp;
BERLIN: Raoul Hausmann, Richard Huelsenbeck, George Grosz, John Heartfield, Hannah Höch, Walter Mehring, Johannes Baader, Wieland Herzfelde, Valeska Gert;
KÖLN: Max Ernst, Hans Arp, Angelika Hoerle, Johannes Th. Baargeld;
HANNOVER: Kurt Schwitters, Käte Steinitz;
DRESDEN: Erwin Schulhoff, Otto Dix;
PARIS: Tristan Tzara, Francis Picabia, André Breton, Céline Arnauld;
HOLLAND: Theo van Doesburg, Nelly van Doesburg;
BELGIEN: Clement Pansaers;
andere Drehpunkte waren JUGOSLAWIEN, die TSCHECHOSLOWAKEI, WIEN, RUMÄNIEN, SPANIEN und ITALIEN.

Nach seiner Ausbreitungsphase war der Surrealismus 1923 eine unmittelbare Reaktion auf Dada. Persönlichkeiten surrealistischer Kunst waren z.B. Pablo Picasso, Salvador Dali, Max Ernst, Toyan, Frida Kahlo, Joan Miró, André Masson, René Magritte, Yves Tanguy, Dorothea Tanning, Leonora Carrington u.v.a.

Im Strom von Dada entsteht 1940 die sagenhafte Fantasiekauderwelsch-Rede des Schauspielers Charlie Chaplin als Anton Hynkel in dem Film »Der große Diktator« und Mitte der 1940er Jahre in Schweden die literarische Figur Pippi Langstrumpf (Astrid Lindgren), in New York der Bebop (Thelonious Monk, Charlie Parker, Dizzy Gillespie) und im geistigen Klima des Existentialismus (Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir) im Pariser Stadtteil Saint Germain de Près der Lettrismus (Isidore Isou); ebenso inspirierte Dada dort in den 1950er Jahren den Situationismus (Asger Jorn, Michèle Bernstein) und zeitgleich dazu die Beat Generation (William Burroughs, Jack Kerouac, Allen Ginsberg) in den USA, infolgedessen sich zw. 1965-71 aus Kalifornien die Protestbewegung und Gegenkultur der Hippies (John Lennon, Janis Joplin) weltweit verbreitete.

Der Dadaismus entwickelt sich stetig weiter:

von der avantgardistischen Kunstform Performence Art (Allan Kaprow) mit den Fluxus-, bzw. Happening-Bewegungen (George Maciunas, Yoko Ono, Joseph Beuys, John Cage) in den 1960er Jahren, 

über die Wiener Aktionisten, und der Berliner »Kommune I«, 

in der Theater- und Film-Szene (Jean-Luc Godard, Michelangelo Antonioni, Monty Python's Flying Circus, Jim Hensons »Muppet Show«, Christoph Schlingensief, Sofia Coppolas »Lost in Translation«, der deutsche Humorist Loriot), 

bis hin zu (Sub-) Kulturbereiche wie Rockmusik (mit deutschen Texten: Ton Steine Scherben), Punk (Sex Pistols, Carambolage, Pussy Riot), Weltmusik (Embryo), Neue Deutsche Welle (Trio), Post Industrial (Einstürzende Neubauten), Graffiti (Banksy), Breakdance und dem Flashmob ("Smart Mob") späterer Tage.


And last but not least:
Was alle Dadaisten verbindet ist: sie sind antiautoritär.
Und was den Dadaismus besonders auszeichnet ist die Ablehnung von Gewalt.

 

 


Everything goes on, including Dadaism ... also in Berlin ...

Dada, Totentanz

Der Auftritt von Emmy Hennings 1916 in Zürich war einer von vielen verrücken Höhepunkten im Cabaret Voltaire. Emmy singt das Gedicht »Totentanz« von Hugo Ball nach der Melodie des Saufliedes »So leben wir« (Verfasser des Originaltextes unbekannt, Musik nach dem »Dessauer Marsch«). Weil die Tonaufzeichnung damals noch in den Kinderschuhen steckte, gibt es von dieser Darbietung leider keine Aufnahme. Deshalb haben sich im Frühjahr 2016 in Berlin dreizehn Leute zusammengetan und das Antikriegslied neu produziert, mit Bläsern, Bass, Schlagzeug und Chorgesang; zu hören als Bonus-Track auf der CD »Radio für Millionen« von »Kai & Funky von Ton Steine Scherben mit Gymmick« und als VideoClip bei YouTube.



Dada


DADA – Дада – Dialogischer Urknall

Im April 2022 fand im Berliner Kunstraum Krüger im Rahmen der Ausstellung – Wolfgang Sophie – Hommage à Sophie Taeuber-Arp – eine Dada-Aktion statt. 
Mit Live-Stream bei YouTube

Die ausführenden Beteiligten waren Michael Gerlinger (voice, action), Kai Sichtermann (bass), Conny Ottinger (saxophone), Christel Blömeke (action), Sema Binia (action, voice), Hasti Danesh (costume), Lujain Mustafa (dance), Steffen Krüger (reduced action), Sophia Vinnichenko (photos), Wolfgang Nestler (concept). Folgende Songs wurden gespielt: »Traum ohne Stern« (R. Steitz/H. Eyber), »Kaftan« (Leroy Vinnegar), »Totentanz« (H. Ball/trad.arr. K. Sichtermann).




 

Ursonate
[Wir spielen, bis uns der Tod abholt]
Eine dadaistische Sprechoper
VON Kurt Schwitters
REGIE Claudia Bauer
KOMPOSITION Peer Baierlein
PREMIERE AM 16.12.2023
Schumannstraße 13a
10117 Berlin


 



Links / Downloads:

Cabaret Voltaire, Zürich

Kunstraum Krüger, Berlin

DADA DeZentrale, Dada-Künstlercafé, Berlin

Musik im Strom von Dada - CD Titelliste

Medikamentenrezept Märzbau 

Dada in Weimar
(aus dem Ausstellungskatalog »Wenn die Nacht am tiefsten - Ton Steine Scherben in ihrer Zeit«, initiiert von der Browse Gallery)

www.kunst-zeiten.de/Dada-Allgemein

Heute noch dada? | Kultur erklärt - Flick Flack | ARTE

www.kunsthaus-artes.de

10 Fakten über Dada


dada (c) AnayanA




»Freiheit: Dada, Dada, Dada,
aufheulen der verkrampften
Schmerzen, Verschlingung
der Gegensätze und aller
Widersprüche, der Grotesken
und der Inkonsequenzen:
Das Leben.«
Tristan Tzara